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XXY - Zwischen den Geschlechtern

 

 

 

 

 

 

 

Frauen haben das Chromosomenpaar XX und Männer XY. So einfach ist das, lernen wir schon in der Schule. Vielleicht hören einige von uns irgendwann noch, das es da auch was „dazwischen“ gibt. Text von der a.g.gender-killer.

Veröffentlicht im AS.ISM_1 Reader des Antisexismusbündnis Berlin. Bald erscheint das AS.ISM_3. Mehr infos gibt’s unter: www.asbb.blogsport.de

 

 

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So z.B. Menschen mit dem so genannten „Klinefelter-Syndrom“, also dem Geschlechterchromosomensatz XXY. Dabei verweist der pathologisierende Begriff „Syndrom“ schon auf die Sichtweise. Diese Menschen sind krank, so die vorherrschende Meinung.
Normale Menschen haben Mann oder Frau zu sein, und zwar richtig. Ist dies nicht der Fall muß eingegriffen und erklärt werden. Doch selbst dann wird in die zwei einzig denkbaren Geschlechter kategorisiert.


So gelten Menschen mit XXY-Chromosom als unnormale Männer, denen medizinisch `geholfen´ werden muß. Warum sie obwohl nach herrschender Norm mit eindeutig zweideutigem Chromosomensatz als Männer gelten?
Weil es biologisch betrachtet neben dem genetischen Geschlecht noch mindestens vier weitere gibt. Und zwar das hormonelle, das morphologische (äußere Geschlechtsmerkmale), das gonadale (Keimdrüsen) und das genitale (innere Genitalien) Geschlecht.


Die XXY-Menschen sind nach diesen Kategorien überwiegend männlich, also muß in diese Richtung `nachgeholfen´ werden. Ein richtiger Mann bzw. eine richtige Frau ist nur, wer/welche in allen fünf Kategorien der Norm entspricht. Das tut aber mindestens eins von 2000 neugeborenen Kindern nicht. Doch da es das Dogma der bipolaren Zweigeschlechtlichkeit gibt, und nicht sein kann was nicht sein darf, wird medizinisch `eingegriffen´.


Mit dem `Argument´ diese Kinder hätten es im späteren Leben viel zu schwer, wenn sie nicht eindeutig als männlich oder weiblich erkennbar sind, wird diesen Eingriffen noch der Anstrich des Humanismus verpasst. Doch das ganze ist ungefähr so, als würde man „Ausländer Raus!“ fordern, damit es keine rassistischen Übergriffe mehr gibt.

 

Es wird sich den diskriminierenden `Tatsachen´ unterworfen, sie werden Grundlage der eigenen Argumentation. Warum ist das so? Warum wird nun trotz der Tatsache, das viele Menschen den eng gesetzten Grenzen der biologischen Geschlechter nicht entsprechen und selbst die, die es tun sich alles andere als gleich sind, an diesem System festgehalten?
Warum gibt es dieses Konstrukt der zwei Seiten, Mann und Frau, wenn doch eher von vielen verschiedenen Geschlechtern ausgegangen werden muß. Warum hat sich dieses Bild der zwei Geschlechter so durchgesetzt?

 

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Vom Eingeschlechter zum Zweigeschlechtermodell

 

Die vermeintlich natürliche Annahme, es gäbe zwei biologische Geschlechter ist noch gar nicht so alt. Sie entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Bürgertums. Bis dahin hatte es über Jahrhunderte hinweg als Allerweltsweisheit gegolten, dass Frauen und Männer über die gleichen Genitalien verfügen, nur einmal nach außen und einmal nach innen gestülpt.

 

Es galt als möglich, das Menschen ihr Geschlecht wechseln könnten, z.B. durch das Tragen der spezifischen Kleidung des anderen Geschlechts. Dieser Verweis auf geschlechtsspezifische Kleidung deutet schon darauf hin, das es Trotz des `Wissens´ über nur einen Geschlechtskörper durchaus entscheidende Unterschiede gab, und zwar auf sozialer Ebene.


Männer galten als Höhepunkt der menschlichen Schöpfung, als universeller Maßstab an dem alles gemessen wurde. Von dem aus betrachtet galt die Frau als unvollkommen und minderwertig. Mit dem Siegeszug der modernen Medizin und Wissenschaft konnte nun nicht länger am Eingeschlechtermodell festgehalten werden . Doch die neuen Erkenntnisse wurden durch die Brille der sozialen Zweigeschlechtlichkeit gesehen.
So entstand das unverrückbare Bild von zwei grundsätzlich verschiedenen Wesen, die sich konträr gegenüber stehen. Fortan galt die biologische Differenz als natürlich Grundlage der sozialen* und das ganze als Abbild der angeblich ebenso natürlichen Ordnung. Denn in unserer Gesellschaft wird immer in Gegensätzen gedacht: normal - unnormal, öffentlich - privat, aktiv - passiv und eben Mann - Frau.


Alles was da keinen Platz hat wird angepasst, muß angepasst werden, um das System nicht in Frage zu stellen. Oder es bestätigt als krankhafte Ausnahme die Regel.


So konstruiert die Rede vom „zwischen den Geschlechtern“ auch immer die Gegensätze Mann und Frau. Doch die Anpassung findet nicht nur medizinisch bei `Abweichungen´, sondern auch immer sozial bei jedem_jeder Einzelnen statt, denn zwei Geschlechter sind eben nicht natürlich.


 

 

Sie beginnt spätestens bei der Geburt mit der Frage: „Was ist es denn, Junge oder Mädchen?“. Dann gibt es einen entsprechenden Namen, Spielzeug, Zuwendung, … und geht immer so weiter. Wir ordnen immer ein und werden immer eingeordnet, quasi automatisiert. Wenn ein Mensch einen Raum betritt, glauben wir sofort zu wissen ob es ein Mann oder eine Frau ist. Denn wir verfügen über ein lang trainiertes Repertoire an ordnenden Kategorien: Aussehen, Gang, Auftreten, Stimme, usw.. Alles ist geschlechtlich kodiert, alles soll seinen/ihren Platz haben.

 

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having sex - doing gender


Nicht zu letzt die als Norm gesetzte Heterosexualität steht in einem wechselseitig sinnstiftenden Verhältnis mit der Annahme von zwei und wirklich nur zwei klar voneinander unterschiedenen Geschlechtern. Auch hier gilt es wieder als `natürlich´ das eine Frau und ein Mann eine Beziehung eingehen. Und eben durch dieses wechselseitige Begehren werden Männer und Frauen erst zu richtigen Männern oder Frauen.
So gelten schwule Männer als verweiblicht und lesbische Frauen dem endsprechend als vermännlicht. Als Grundlage heterosexistischer Argumentationsmuster dient in der Regel die Reduzierung der Sexualität auf das `Natürliche´, auf Fortpflanzung. Es bräuchte einen Mann und eine Frau um Kinder in die Welt zu setzen.
Ausgeblendet werden Menschen, die keine Kinder zeugen oder gebären können oder wollen. Ausgeblendet wird, das in unserer Gesellschaft Sexualität in erster Linie einen sozialen Faktor hat und die Zeugung neuen Lebens eher nebensächlich ist.


Ausgeblendet werden Menschen, die jenseits der heterosexistischen Kleinfamilie mit Kindern leben wollen und keinen Wert darauf legen das es `ihre´ Biokinder sind. Kurz, die Muster des zu Rechtfertigen sind mit den Mustern der Erklärung identisch. Wenn Sexualität ausschließlich als Akt der biologischen Reproduktion gefasst wird, ist es `natürlich´ möglich mit ihr Zweigeschlechtlichkeit zu erklären. Und andersherum sind zwei Geschlechter die Grundlage für heterosexuelles Begehren und die Einteilung und damit Hierarchisierung von verschiedenen Sexualitäten.
Ohne Geschlechter keine Heterosexualität, keine Homosexualität und keine Bisexualität. Es gibt nur einen Grund an der Unterscheidung in zwei Geschlechter festzuhalten und der heißt Herrschaft. Herrschaft braucht `unterschiedliche´, oder besser unterscheidbare Gruppen. Das ist die Grundlage jeder Herrschaft, die Norm und die Abweichung.

 

 

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Kein Geschlecht oder viele!


Es ist klar, das dies nicht bedeutet, das wir mal eben alle unsere Geschlechtsidentität abschütteln können. Denn Geschlechter sind nicht nur Rollen die wir spielen, sie sind Realität. Das sie gemacht wurden und werden heißt nicht, das sie nicht da sind oder einfach so verändert werden können.
Geschlechter sind verinnerlicht, verleiblicht. Das meint, unser Geschlecht ist in unseren Körper eingeschrieben, ist unser Körper. Dieser Körper ist ein Bündel von verschiedenen Praxen und Techniken. Wie wir unseren Körper wahrnehmen, uns bewegen, sprechen, fühlen, … all dies ist nicht von unserer geschlechtsspezifischen Sozialisation zu trennen.
Die meisten von uns fühlen sich also mehr oder weniger ungebrochen als Männer oder Frauen, begehren die einen oder die anderen und kategorisieren dementsprechend ständig und unbewusst. Und genau darum geht es, sich diesen Prozess, in dem sich Geschlecht immer wieder und wieder konstituiert, bewusst zu machen. Sich anzugucken wie Geschlecht geworden ist und damit auch, wie wir geworden sind, historisch und sozialisatorisch.
*So wird die Dominanz des männlichen Geschlechts in der Regel auch mit der Gebärfähigkeit der Frau begründet. Da diese die Kinder zur Welt bringt, sei sie viel stärker in den reproduktiven und häuslichen Sektor eingebunden und dadurch vom Bereich der Produktion und der gesellschaftlichen Einflußnahme ausgeschlossen. Doch auch dies ist nicht `natürlich´. Wem_Welcher diese Argumentation noch nicht absurd genug ist, dem_der mag ein empirisches Beispiel auf die Sprünge helfen. So gibt es Kulturen in denen die Männer mehr Verantwortung für Kinder und Haushalt tragen als die Frauen.



 

 

 

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