Seit mehr als drei Jahren wird im Berliner Bezirk Pankow der Lokale Aktionsplan (LAP), gefördert durch das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), umgesetzt. In diesem Rahmen werden Projekte von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Vereinen, Jugendklubs und Stadtteilzentren gefördert, die sich auf vielfältige Weise gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus im Bezirk engagieren. Diesem Engagement wird seit Januar 2011 durch den Antragszusatz der sogenannten "Demokratieerklärung gegen Extremismus" mit Misstrauen begegnet. Mit einer Unterschrift als Förderbedingung müssen ProjektträgerInnen versichern, dass sie sich der Freiheitlichdemokratischen Grundordnung (FdGO) verpflichtet fühlen. Darüber hinaus verpflichten sich UnterzeichnerInnen zur Überprüfung aller involvierter KooperationspartnerInnen. Es solle nicht "der Anschein erweckt werden", dass "extremistische Strukturen" unterstützt würden. Während ersteres selbstverständlich ist, hat die abverlangte Erklärung zur Überprüfung von KooperationspartnerInnen fatale Folgen.

 

Misstrauen wird gesät
Das BMFSFJ geht mit der eingeforderten "Extremismusklausel" grundsätzlich davon aus, dass ProjektträgerInnen und ihre KooperationspartnerInnen den Boden des Grundgesetzes potenziell verlassen könnten. Diese pauschale Verdächtigung sät Misstrauen zwischen möglichen KooperationspartnerInnen und verunsichert engagierte BürgerInnen. Wer "ExtremistIn" ist, entscheidet im Zweifelsfall der Verfassungsschutz. Dieses Vorgehen hat inzwischen bundesweit für Unmut, Kritik und Protest bei den betroffenen Projekten gesorgt.(1) Auch in Pankow wurden durch den Bezirksbürgermeister, die Bezirksverordnetenversammlung und den Begleitausschuss des LAP Protesterklärungen verfasst.

 

Folgen im Bezirk
Die "Extremismusklausel", die von Gutachtern sowie den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages als in Teilen verfassungsrechtlich bedenklich angesehen wird (2), hat einen unmittelbaren Effekt auf die Projektarbeit. Während einige Pankower Projekte ihre Arbeit bereits eingestellt haben, konnten andere unter diesen Umständen keine neuen Anträge stellen. Die "ProjektFactory",
die in Trägerschaft von Gangway e.V. in den letzten Jahren Gelder des LAP an (Jugend)Initiativen und Projekte verteilte, wird dies in Zukunft nicht mehr tun. Die Jugendlichen, die das Projekt gestalteten, entschieden sich gegen die Unterschrift der Klausel, weil sie sich nicht in
der Lage sahen, jede/n ihrer AntragstellerInnen zu überprüfen. Die Forderung an die Träger, "ihre diesbezüglichen Abwägungsprozesse so [zu] dokumentieren, dass sie bei Bedarf nachvollziehbar und nachprüfbar sind" (3), ist alles andere als förderlich für eine Teilhabe an demokratischen Aushandlungsprozessen.
Auch die Schulprojekttage, die in den Jahren 2007 und 2008 von der "Bildungsinitiative Engagierter SchülerInnen" in Trägerschaft des Unabhängigen Jugendzentrums Pankow (JUP) e.V. an verschiedenen Schulen durchgeführt wurden, wären mit den gegenwärtigen Anforderungen nicht mehr möglich. Es ist schlicht nicht zumutbar, von sich ehrenamtlich engagierenden Jugendlichen zu verlangen, dass sie mehr als 30 KooperationspartnerInnen und ReferentInnen überprüfen, die im Rahmen der Projekttage eingebunden waren. Eine solche Überprüfung würde darüber hinaus das entgegengebrachte Vertrauen in die Zusammenarbeit gänzlich zerstören.

 

Gegenseitiger Respekt erfordert Vertrauen
Der Zwang zur Unterschrift der "Extremismusklausel" bringt die Initiativen dazu, von einem ihrer wichtigsten Grundsätze Abstand zu nehmen: Der offene und vorurteilsfreie Umgang mit anderen Menschen, die ein Interesse daran haben, sich gesellschaftlich zu engagieren. Die Förderung einer aktiven und streitbaren Zivilgesellschaft wird so verhindert. Tagtäglich praktizierte Demokratie und Engagement gegen Neonazismus wird über den Extremismusverdacht gelähmt. Das gegenseitige Vertrauen in der gemeinsamen Arbeit kann nur wiederhergestellt werden, wenn der staatlich verordnete Generalverdacht zurückgenommen und die Absätze 2 und 3 der Klausel, die eine Überprüfung der KooperationspartnerInnen verlangen, spätestens im Förderjahr 2012 ersatzlos gestrichen werden.

 

Berlin, August 2011

 

(1) Die Seite www.aktionstaggegenbekenntniszwang.blogsport.de dokumentiert den bundesweiten Protest sowie den Wortlaut der Klausel samt Zusatzbestimmungen.
(2) Vgl. hierzu das Gutachten des Professors für Staatsrecht an der Humboldt-Universität, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, www.aktionstaggegenbekenntniszwang.blogsport.de/images/Gutachten1_Extremismusklausel.pdf sowie das unveröffentlichte Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,55437,00.html
(3) Aus den "Hinweisen des BMFSFJ zur Umsetzung und Anwendung der Klausel".