Rede bei der Lichterkette zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2017

Bei der Lichterkette zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2017 hat eine Aktive aus dem JUP eine tolle Rede gehalten, die Ihr nachfolgend noch einmal in Ruhe lesen könnt:

 

Liebe Anwesende,

Theodor W. Adorno schreibt in seinem Text "Erziehung nach Auschwitz": "Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen." 

Wenn ich an meinen eigenen Geschichtsunterricht denke, habe ich nicht das Gefühl, dass diese Forderung erfüllt wurde. Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, was Faschismus bedeutet, wurden Zahlen und Daten abgefragt. Anstatt auf die Kontinuität von Antisemitismus und Rassismus einzugehen, wird die BRD für ihre Entnazifizierung gefeiert, die mit den Nürnberger Prozessesen als endgültig abgeschlossen gilt. 

Der Impuls zu sagen: "Nie wieder!" resultiert aus der Betroffenheit, die sich einstellt, sobald das Thema Nationalsozialismus und Shoah besprochen wird. Doch diese ist meist nur von kurzer Dauer, der Alltagstrott übernimmt oder es wird sich mit der Ausrede "Was hat das denn mit uns zu tun?" beholfen. Genau an dieser Stelle bräuchte es eine gemeinsame Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit Kontinuitäten von Ungerechtigkeit und Diskriminierung und inwiefern diese heute noch aktuell und vorhanden sind. Denn der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung und einer besseren Zukunft resultiert aus der Empörung über Vergangenheit und Gegenwart.

Doch wie kommt es zu der Empörung, wenn sich das, was wir als Wahrheit über den NS denken, aus den Erzählungen der Täter*innen speist? Wenn es heißt, man habe von nichts gewusst und die Mittäter*innenschaft der Bevölkerung entschuldigt wird mit der Begründung: Man wisse ja nicht, wie man selbst damals gehandelt hätte.

Hier ist es wichtig zu betonen: Es geht auch nicht darum zu wissen, wer sich wann wie verhalten hätte. Es geht darum, sich damit auseinander zu setzen, was damals geschah und was heute geschieht. Und wir müssen uns heute entscheiden, was wir HEUTE tun, für welche Werte wir einstehen und für welche Utopien wir kämpfen wollen.

Wie wir sehen, stößt der bürgerliche Parlamentarismus an seine Grenzen, die Neue Rechte erstarkt, nicht nur in Deutschland, sondern europa- und weltweit. Und es sind nicht mehr nur die isolierten Neonazis, sondern große Teile der Bevölkerung, die sich in einer Sozialen Bewegung zusammenfinden. Und das auf drei unterschiedlichen Ebenen, die jedoch miteinander verbunden sind.

- Mit rassistischen Demonstrationen, deren Spektrum weit gefächert ist von klischeehaften Nazi-Hooligans über die Identitären, die meist bürgerliche Burschenschaftler sind, bis hin zu den Leuten, die sich von der gesellschaftlichen Stimmung mitreißen lassen, ihre menschenverachtenden Positionen nicht mehr nur als Stammtisch-, sondern auch als Demo-Parolen zu äußern.

- Mit Zeitschriften wie der Jungen Freiheit oder Compact gestalten die Neuen Rechten einen öffentlichen Diskurs mit, der sich vor allem den Echo-Raum der sozialen Netzwerke zunutze macht. Gerade im Internet und mit dem Vorwurf der "Lügenpresse" haben (antisemitische) Verschwörungstheorien und nationalistisches Gedankengut (Stichwort: das wird ja man wohl noch sagen dürfen) wieder einen neuen Aufschwung erlebt.

- Mit der AfD wurde die neu-rechte Bewegung in viele Landtage gewählt und wird im September dieses Jahres auch in den Bundestag einziehen. Durch gut platzierte Tabu-Brüche setzen sie das Schock-Level herab und drängen die etablierten Parteien immer weiter nach rechts ab, wie im Berliner Wahlkampf schön zu beobachten war. Jetzt in den Bezirksparlamenten schaffen die etablierten Parteien es nicht, klare Linie gegen die AfD zu zeigen und lassen sich sogar auf AfD-Stadträte ein, solang diese keine "echten Nazis" sind. Doch wer für die AfD Politik macht, der steht für hetero-sexistische Rollenbilder und anti-feministische Gesellschaftsvorstellungen,für eine neoliberale Wirtschaftspolitik, in der "Anreize schaffen" eigentlich "den Sozialstaat noch weiter abbauen" bedeutet. Und nicht zuletzt für völkisches und rassistisches Denken. 

Europa macht schon lange seine Grenzen dicht, die deutsche Bundesregierung schließt Abkommen mit der türkischen AKP-Regierung , die dabei ist eine faschistische Diktatur zu errichten, und reiht sich in den rassistischen Konsens ein, denn was da beschlossen wurde ist eigentlich nur "Ausländer raus" auf Gesetzes Ebene!

Wir können uns nicht darauf verlassen,dass Parteien oder Gewerkschaften eine wirksame Strategie gegen die neu-rechte Bewegung entwickeln. Darum ist es an jeder und jedem einzelnen hier: Baut solidarische Netzwerke auf, redet mit Menschen über ihre Probleme und organisiert euch gemeinsam dagegen. Seid einfühlsam bei Leuten, die gerade erst anfangen, eine antifaschistische Haltung zu entwickeln und vertraut darauf, dass sie mit der Zeit auch ihre Sprache und Verhaltensweisen reflektieren werden. 

Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen! Anstatt zu überlegen, wie wir AfD-Wähler*innen "zurückholen" oder Unentschiedene beeinflussen können, sollten wir darüber reden, wie wir uns und andere Betroffene schützen können und wie wir die Menschen mobilisieren, gegen die sich die neu-rechte Bewegung wendet.

Wir brauchen Orte, die sicher sind. Orte, die sich klar gegen rechte Ideologien und gegen Diskriminierung positionieren und wo diese Positionierung auch mit Inhalt gefüllt wird. Orte, die sich nicht vor einem AfD-Stadtrat wegducken, aus Angst ihre Förderung zu verlieren. Denn wer das tut, verliert zuerst das eigene Rückgrat und danach vermutlich auch die Förderung. 

Besiegen wir die Resignation, entlarven wir unsere eigenen Ausreden, warum wir nicht kämpfen wollen und konzentrieren uns darauf, was wir schon erreicht haben. Denn das gilt es im Moment zu verteidigen. Sucht euch Verbündete und seid kreativ!

Wir alle müssen die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, zu unserer persönlichen Aufgabe machen und diese gemeinsam erfüllen.

Nie wieder Krieg!

Nie wieder Faschismus!